Bei groben Fehlentscheiden haften Stiftungsräte

Das Bundesgericht hat entschieden, dass der Stiftungsrat der Sammelstiftung Provitas für die Folgen von verfehlten Anlageentscheiden haften soll. Dabei spielt auch der Fall Behring eine Rolle.

Stiftungsrat einer Pensionskasse zu sein, kann bei Fehlentscheiden teuer werden. Dies zeigt ein jüngst veröffentlichter Entscheid des Lausanner Bundesgerichts. Dieser sieht vor, dass der Stiftungsrat der Sammelstiftung Provitas für die Folgen von Anlageentscheiden zur Zeit des Platzens der Internetblase haften soll. Dabei waren auch Anlagen bei dem Basler Financier Dieter Behring im Spiel, dessen Geschäft 2004 kollabierte und einen Verlust von 800 Mio. Fr. sowie rund 2000 Geschädigte zurückliess. Das Bundesgericht heisst in seinem Urteil eine Beschwerde des Sicherheitsfonds BVG gegen einen Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich teilweise gut und erteilt Letzterem einen Rüffel.

«Trader» sollte es richten

Worum geht es bei dem Fall Provitas? Wie die Advokatin Franziska Bur Bürgin von der Kanzlei Ludwig + Partner in einem Blog-Eintrag ausführt, hat die 1994 gegründete Sammelstiftung mit einer garantierten Verzinsung der Altersguthaben von 5% bei dreijährigen Verträgen geworben. Mit dem Platzen der Internetblase brach der Deckungsgrad der Provitas jedoch ein, Ende September 2001 betrug er noch 81,55%. Wie das Bundesgericht in dem Entscheid ausführt, entschloss sich der Stiftungsrat daraufhin zu einer Sanierung.

Bei diesem Versuch wurden die Aktienanlagen an einen «Trader» – laut Bur Bürgin dürfte es sich dabei um Behring handeln – übergeben, der eine jährliche Rendite von 15% erreichen sollte. Allerdings fiel der Deckungsgrad der Provitas bis Juni 2002 auf 71%, und im April 2003 ordnete das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) die Aufhebung der Sammelstiftung an. Der Sicherheitsfonds BVG schoss anschliessend im Zeitraum November 2003 bis August 2004 rund 49,4 Mio. Fr. ein, um gesetzliche Leistungen sicherzustellen. Der Sicherheitsfonds erhob dann 2012 eine Klage unter anderem gegen die Stiftungsräte beim Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und forderte die Erstattung des Schadens von rund 8,4 Mio. Fr. zuzüglich Zinsen.

Wie Bur Bürgin schreibt, lautete der Vorwurf des Sicherheitsfonds, die Anlagestrategie der Provitas sei wegen fehlender Wertschwankungsreserven von Anfang an zu riskant gewesen und mit der Einsetzung des «Traders» noch riskanter gemacht worden. Damit sei der im Berufliche-Vorsorge-Gesetz ausgeführte Grundsatz der Sicherheit (Art. 71 BVG) verletzt worden. Das Sozialversicherungsgericht wies die Klage des Sicherheitsfonds BVG aber im September 2015 ab. Daraufhin erhob dieser Beschwerde beim Bundesgericht.

Dessen Urteil fiel Ende Dezember 2016. Darin übt das Bundesgericht deutliche Kritik an dem Entscheid des Sozialversicherungsgerichts. Das Neue an dem Entscheid sei, dass das Bundesgericht die Bedeutung der Risikofähigkeit einer Vorsorgeeinrichtung im Zusammenhang mit der Zulässigkeit von Anlageentscheiden stark betone, sagt Laurence Uttinger, Partnerin bei der Anwaltskanzlei Niederer Kraft & Frey. In dem Entscheid wird Risikofähigkeit als die Fähigkeit bezeichnet, «erfahrungsgemäss zu erwartende marktbedingte Schwankungen des Gesamtvermögens auszugleichen und über genügend liquide bzw. liquidierbare Mittel zu verfügen, um laufende und künftige Verpflichtungen (z. B. Rentenzahlungen, Freizügigkeitsleistungen) erfüllen zu können».

Das Bundesgericht halte in dem Entscheid fest, das Sozialversicherungsgericht habe den Begriff der Risikofähigkeit nicht richtig verstanden, schreibt Bur Bürgin. Zudem habe es nicht verstanden, die Schwankungsreserven als wesentliches Element der Risikofähigkeit in Relation zum Aktienengagement zu setzen. So habe es nicht der Gesamtsituation Rechnung getragen. Sie zitiert aus dem Bundesgerichtsurteil, wonach im Jahr 2000 der Provitas-Stiftungsrat die Aktienquote auf 33,9% erhöht habe, so dass Ende 2000 Aktienanlagen von rund einem Drittel des Gesamtvermögens lediglich noch Wertschwankungsreserven in Höhe von 2,6% gegenübergestanden seien. Dies bezeichnet das Bundesgericht als «klar unzureichend».

Was die von dem «Trader» angestrebte Rendite von 15% angeht, hebt Bur Bürgin die Klarstellung des Bundesgerichts hervor, wonach es bei einem Anlageentscheid nicht massgeblich sei, ob die versprochene Rendite erreichbar scheine, sondern einzig, ob das Engagement der Risikofähigkeit einer Vorsorgeeinrichtung entspreche oder nicht. Laut dem Bundesgericht habe der Stiftungsrat die Führungspflicht und damit seine Sorgfaltspflicht verletzt.

Uttinger weist zudem darauf hin, dass manche Stiftungsräte vor allem auf die Verordnung über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVV2) schauten und sich ausschliesslich an den dort ausgewiesenen Grenzwerten für Anlagen orientierten. Das Bundesgericht erinnere jedoch zu Recht daran, dass die Grundsätze in Artikel 71 BVG – wie beispielsweise derjenige der Sicherheit – den Anlagegrenzwerten der Verordnung übergeordnet und deshalb unabhängig davon einzuhalten seien.

Welche Folgen dürfte der Entscheid des Bundesgerichts haben? Laut Roger Baumann von der St. Galler Beratungsgesellschaft «c-alm» zeigt er, welch grosse Verantwortung Stiftungsräte einer Pensionskasse haben. Heute müsse man als Stiftungsrat umsichtig vorgehen, sonst hafte man selber für Anlageentscheide, die für die Pensionskasse getroffen würden. Das Bundesgericht zeige den Stiftungsräten, dass sie bei Versuchen, einen niedrigen Deckungsgrad durch riskante Anlage-Manöver zu verbessern («gambling for resurrection»), haftbar gemacht werden könnten. Tatsächlich hätte der Stiftungsrat bei dem genannten Fall ganz klar sehen müssen, dass das Engagement bei dem «Trader» mit hohen Risiken verbunden gewesen sei. Da der Gesetzgeber mit Regulierungen wie der BVG-Strukturreform die Verantwortung des Stiftungsrats noch vergrössert habe, sei es gut möglich, dass ähnliche Fälle in den Fokus rückten – beispielsweise aus der Zeit der Finanzkrise der Jahre 2007 bis 2009.

«Fronarbeit» Stiftungsrat

Uttinger glaubt indessen nicht, dass der Entscheid des Bundesgerichts in der Praxis riesige Auswirkungen haben wird. Viel mehr ähnliche Fälle dürfte es aus ihrer Sicht in Zukunft wohl nicht geben, denn der Sicherheitsfonds BVG habe auch in der Vergangenheit schon bei notleidenden Stiftungen, bei denen er habe einspringen müssen, Klagen geprüft. Fälle wie Provitas, bei denen der Stiftungsrat trotz Vorliegen einer Unterdeckung das Aktienengagement erhöhe und entscheide, einem zweifelhaften «Trader» freie Hand über rund einen Viertel des Vermögens zu geben, seien glücklicherweise selten. Wenn sich Stiftungsräte an die Vorgabe des sorgfältigen Wirtschaftens hielten, sei es unwahrscheinlich, dass ihnen Haftungsfolgen drohten.

Es werde mit solchen Haftungsfällen unattraktiver, ein Amt als Stiftungsrat einer Vorsorgeeinrichtung zu übernehmen, sagt Baumann. Schliesslich handle es sich in der Regel um eine «Fronarbeit». Zudem erhielten Stiftungsräte von ihrem Arbeitgeber oft immer noch nicht die nötigen Möglichkeiten und die Zeit, sich in die Materie einzuarbeiten und sich auszubilden. Baumann fordert, Stiftungsräte von Pensionskassen müssten eine der Verantwortung angemessene Entschädigung erhalten – wie ein Verwaltungsrat in einem Unternehmen.

Quelle: NZZ
17.02.2017

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *