BVK-Wechsel unkorrekt vollzogen?

Einige Gemeinden wechseln auf das neue Jahr von der BVK zu anderen Vorsorgeeinrichtungen. Öffentlich ausgeschrieben wurde der neue Auftrag nirgends. Das wäre nötig gewesen, sagen Experten.

Die Aufregung rund um den neuen Vorsorgeplan der Pensionskasse BVK beschäftigt nicht nur wegen des Falls Erlenbach die Juristen. In der Zürichseegemeinde dürfte ein Nachspiel haben, dass die beigezogene Beratungsfirma die Kosten für den Wechsel von der BVK zur Profond um über eine Millionen Franken zu tief angab – und dies erst bekannt wurde, nachdem die Gemeinde den Anschlussvertrag bei ihrer bisherigen Pensionskasse bereits gekündigt hatte. Besonders peinlich ist der Irrtum, weil sich im Nachhinein zeigte, dass die Beratungsfirma nicht unabhängig war: Sie unterstützte nicht nur die Gemeinde Erlenbach, sondern ist gleichzeitig auch bei der Profond als Expertin für die berufliche Vorsorge mandatiert – also just bei jener Kasse, die den Erlenbacher Auftrag neu erhält.

Der Vorgang wirft ein Schlaglicht auf die Frage, wie Gemeinden Leistungen für die berufliche Vorsorge des Personals vergeben. Die Kernfrage lautet: Müssen sie diese Leistungen öffentlich ausschreiben? Nein, sagen die Gemeinden, die derzeit auf freiwilliger Basis die Kasse wechseln. Ja, sagen dagegen Claudia Schneider Heusi, Rechtsanwältin und Submissionsspezialistin, sowie Martin Beyeler, assoziierter Professor für Bau- und Vergaberecht an der Universität Freiburg.

Abwanderungswelle bleibt aus

Auslöser für die Unruhe war der Vorsorgeplan 2017 der BVK, der auf das neue Jahr hin in Kraft tritt. Besonders umstritten ist, dass der technische Zinssatz von 3,25 auf 2 Prozent und der Umwandlungssatz, bezogen auf das Pensionsalter 65, von 6,2 auf 4,87 Prozent gesenkt werden soll. Zudem werden die Sparbeiträge um rund 15 Prozent erhöht. Für Abfederungsmassnahmen setzt die BVK 950 Millionen Franken ein. Trotz zunächst heftigen Protesten blieb eine Abwanderungswelle aus. Den Anschlussvertrag kündigten per Ende Jahr schliesslich die Gemeinden Erlenbach, Oberrieden und Mönchaltorf, die Stadt Schlieren sowie die Schweizerische Technische Hochschule Winterthur.

Einen Bundesgerichtsentscheid gibt es bisher nicht zur Frage, ob eine öffentliche Ausschreibung für solche Wechsel nötig wäre. Rechtsanwältin Schneider Heusi sagt aber, die Lehrmeinung sei klar, dass öffentliche Ausschreibungen von Vorsorgeleistungen erforderlich seien, sofern keine zwingenden Gründen dagegen sprächen. Solch zwingende Gründe könnten gegeben sein, wenn zum Beispiel in einem Kanton vorgeschrieben sei, dass die Versicherten bei einer eigens für diese errichteten Pensionskasse anzuschliessen seien, wenn also keine Auswahlfreiheit für den öffentlichen Auftraggeber bestehe. Im «Jusletter» vom 7. November schreibt Schneider Heusi: «Da, wo der Träger der beruflichen Vorsorge frei gewählt werden darf, wie zum Beispiel mit einer Anschlussvereinbarung, stehen einer Ausschreibung keine zwingenden Gründe entgegen.» Viele seien sich dessen wohl nicht bewusst, sagt die Anwältin auf Nachfrage. Beschwerden gegen eine nicht ausgeschriebene Vergabe hätten vor dem Zürcher Verwaltungsgericht grundsätzlich gute Chancen, ist sie überzeugt. Dieser Ansicht ist auch Professor Martin Beyeler. Pensionskassenleistungen seien (Versicherungs-)Dienstleistungen, die Kantone und Gemeinden öffentlich ausschreiben müssten, sofern kein Zwangsanschluss bestehe, sagt er auf Anfrage.

«Höre zum ersten Mal davon»

Die zurzeit betroffenen Zürcher Gemeinden schätzen die Lage anders ein. Hans Wyler, Gemeindeschreiber in Erlenbach, sagt etwa, er höre zum ersten Mal, dass auch im Pensionskassen-Bereich eine öffentliche Ausschreibung nötig sein soll. Wäre dies so, sagt er, hätte der Kanton die Gemeinden sicherlich darauf aufmerksam gemacht und dann wäre der Auftrag nicht nur von den Gemeinden, sondern auch vom Kanton selber regelmässig neu auszuschreiben. Sinnvoll wäre dies seiner Ansicht nach nicht, da ein Wechsel im Normalfall mit Kosten und viel Aufwand verbunden sei.

Martin Arnold, Gemeindepräsident von Oberrieden, sagt, sie hätten über einen externen Sachverständigen Offerten eingeholt, sich also für ein eingeladenes Verfahren entschieden. Dabei habe sich aber gezeigt, dass nur wenige Offerten eingegangen seien, ein grosser Wettbewerb finde nicht statt. Er erachte deshalb das Einladungsverfahren als die zweckmässigste Form. Diese Argumentation gehe nicht auf, findet Professor Beyeler. Wer nicht öffentlich ausschreibe, wisse schlechterdings nicht, ob nicht doch mehr Interessenten auf dem Markt vorhanden wären. Dies gelte erst recht, wenn ein Berater die einzuladenden Unternehmen auswähle.

Nur ein valables Angebot in Schlieren

Eine ausführliche Begründung für die nicht erfolgte öffentliche Ausschreibung legt auf Nachfrage der NZZ die Stadt Schlieren dar. Sie hatte ein Versicherungsberatungsunternehmen beauftragt, bei verschiedenen Pensionskassen Offerten einzuholen für Vorsorgelösungen, die für die Angestellten mindestens die gleichen Leistungen bieten sollten wie bisher die BVK – aber ohne Erhöhung der Beiträge und zu vertretbaren Finanzierungskosten. Es sei aber nur ein valables Angebot eingetroffen, jenes der SHP Dietikon, die dann auch zum Zug gekommen sei.

Ihr Vorgehen sei korrekt gewesen, schreibt die Stadt Schlieren, und zwar aus drei Gründen. Erstens habe die Stadt lange gehofft, die BVK würde den stark kritisierten Vorsorgeplan 2017 noch anpassen. Als dies nicht geschehen sei, habe die Zeit nicht mehr ausgereicht, um ein Verfahren gemäss Submissionsrecht so anzusetzen, dass das ausserordentliche Kündigungsrecht bis am 30. November rechtzeitig hätte ausgeübt werden können. Infolge Dringlichkeit sei das gewählte Vorgehen deswegen als gesetzeskonform zu bezeichnen, unabhängig von der Frage der Ausschreibungspflicht.

«Keine wirkliche Auswahlfreiheit»

Zweitens bestehe keine solche Ausschreibungspflicht, weil die Stadt keine wirkliche Auswahlfreiheit bei der Bestimmung der Vorsorgeeinrichtung habe, heisst es weiter in der Stellungnahme. Bei einem Wechsel der Pensionskasse seien nämlich gesetzlich verankerte Mitwirkungsrechte der Mitarbeitenden zu gewährleisten. Diese müssten mit der Wahl der neuen Pensionskasse einverstanden sein. Sei dies nicht gegeben, könne der Wechsel nicht vollzogen werden –selbst wenn eine Vorsorgeeinrichtung im Rahmen eines Submissionsverfahrens die meisten Punkte erzielen würde. Drittens liege eine dem Submissionsrecht unterstellte öffentliche Beschaffung nur vor, wenn die öffentliche Hand als Abnehmerin von Sachgütern oder Dienstleistungen auftrete, die sie zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben benötige. Die Versicherung des Personals sei nicht als hoheitliche Aufgabe zu qualifizieren, im Rahmen derer das Gemeinwesen eine mehr oder minder ausgeprägte Marktmacht ausüben könne, schreibt die Stadt Schlieren. Das Gemeinwesen befinde sich im Gegenteil im Wettbewerb mit zahlreichen anderen – öffentlichen und privaten –Arbeitgebern um attraktive Vorsorgelösungen für seine Angestellten, weshalb es bezüglich dieses Tätigkeitsbereichs nicht dem Submissionsrecht unterstellt sei.

Dringlichkeit selbst verschuldet?

Das Argument der Dringlichkeit ist für Anwältin Schneider Heusi nicht so abwegig, um eine ausnahmsweise freihändige Vergabe zu begründen. Der Freiburger Professor Beyeler meldet allerdings Bedenken an. Faktisch möge Dringlichkeit vorgeherrscht haben, rechtlich müsse hier aber womöglich von selbstverschuldeter Dringlichkeit gesprochen werden, da niemand die Gemeinde zu einem Wechsel gezwungen habe.

Falsch ist laut Schneider Heusi die Aussage, dass die Versicherung des Personals nicht als öffentliche Aufgabe zu qualifizieren sei. In einem Urteil vom 18. Juli 2016 habe das Bundesgericht klar festgehalten, dass die berufliche Vorsorge im Allgemeinen eine im öffentlichen Interesse liegende Aufgabe sei. Auch die angegebenen Mitwirkungsrechte der Mitarbeiter seien kein Grund, von einer öffentlichen Ausschreibung abzusehen. So könne der nach dem durchgeführten Vergabeverfahren mit dem Zuschlag in Aussicht gestellte Vertragsabschluss von der Stadt unter den Vorbehalt gestellt werden, dass die Arbeitnehmervertretung zustimme.

Bedingungen definieren

Der Freiburger Professor Beyeler setzt bezüglich des letzten Punkts einen anderen Akzent. Im Ergebnis würden so die Arbeitnehmenden nämlich frei aus der Rangliste auswählen können, sie könnten eine Offerte nach der anderen ablehnen und die nächste potenziell zum Zug kommen lassen. Das sei nicht zielführend und wohl auch nicht rechtmässig. Vergaberechtlich zulässig wäre laut Beyeler ein nachträgliches Einholen des Einverständnisses der Arbeitnehmenden nur, wenn nach einer durch diese erfolgten Ablehnung des Submissionssiegers ein Abbruch und eine Neuausschreibung erfolgen würden. Dies würde aber die Vergabe mitunter drastisch verzögern, wenn nicht verunmöglichen. Denkbar ist für Beyeler einzig, dass der Arbeitgeber bereits vor der Ausschreibung zusammen mit den Arbeitnehmern oder deren Vertretung zwingende Mindestanforderungen bezüglich des Produktes sowie allenfalls Eignungs- und Zuschlagskriterien definiert. Gestützt auf diese Grundlagen müssten die Arbeitnehmer dem Arbeitgeber dann das Mandat erteilen, einen entsprechenden Vertrag abschliessen zu dürfen, wenn die vereinbarten Kriterien erfüllt seien.

Abwegig ist für Beyeler die Begründung, die Stadt stehe in Konkurrenz um attraktive Vorsorgelösungen respektive um gute Arbeitskräfte und sei deshalb in diesem Bereich nicht dem Submissionsrecht unterstellt. Beyeler sagt: «So könnte man auch argumentieren, um den Bau eines neuen Gemeindehauses nicht auszuschreiben – weil ja schliesslich attraktive Arbeitsplätze erstellt werden sollen. Das ist ein untaugliches Argument.» Insgesamt wäre es laut Beyeler aber spannend, wenn das Bundesgericht einmal einen konkreten Fall beurteilen müsste. Aus dem Kanton Zürich ist dies zurzeit indes nicht zu erwarten. Beschwerden sind keine bekannt.

Quelle: NZZ
30.12.2016

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