Gegen starre Anlagevorschriften – Der sichere Tod der zweiten Säule

Sicherheitsdenken wird in der zweiten Säule oft mit Investitionen in solide Inlandobligationen gleichgesetzt. Das Risiko, wegen eines plötzlichen Zinsanstiegs Kapitalverluste zu erleiden, ist gross.

Die heutige Regulierung erlaubt es den Pensionskassen, ihr ganzes Vermögen in Obligationen zu halten, die derzeit aber keine oder gar negative Renditen abwerfen. Der dritte Beitragszahler, der Zins, fällt damit gänzlich aus, und das Kapitaldeckungsverfahren droht seine Existenzberechtigung zu verlieren. Denn im Vergleich mit dem Umlageverfahren ist die zweite Säule volkswirtschaftlich nur sinnvoll, wenn der akkumulierte Kapitalstock eine Rendite abwirft. Um die Sollrenditen von 2% bis 3% zu erreichen, braucht es deshalb andere anlagestrategische Grundsätze und Leitlinien.

Langfristig investieren

Angenommen, eine Pensionskasse mit einem verfügbaren und (bei einem technischen Zins von 2%) notwendigen Vermögen von 100 Mio. Fr. investiere 60 Mio. Fr. in Schweizer Aktien, 38 Mio. Fr. in inländische Immobilien und halte den Rest als Liquiditätsreserve. Bei einem Deckungsgrad von 100%, also fehlenden Wertschwankungsreserven, würden Pensionskassenexperten und Aufsichtsbehörden von einer unverantwortlich aggressiven Anlagestrategie sprechen – auch weil die Limiten für Aktien (50%) und Immobilien (30%) verletzt sind.

Mit Blick auf zufliessende Cashflows ergibt sich jedoch ein fundamental anderes Bild: Bei der gegenwärtigen Dividendenrendite des Swiss-Performance-Indexes von 3,4% (abzüglich 0,2% Gebühren) und Nettorenditen der Immobilien von 2,8% liefert das Portefeuille einen Zahlungsstrom von fast 3 Mio. Fr. bzw. bezogen auf das notwendige Vermögen 3%. Der Erfüllungsgrad der Sollrendite liegt daher über 100%. Der Cashflow erlaubt es der Pensionskasse sogar, die Aktiven wie die Rentner mit einer zusätzlichen Verzinsung über die 2% hinaus zu beglücken.

Was passiert bei einem Crash?

Bei einem Kursrückgang an den Aktien- und Immobilienmärkten von 50% würde sich das vorhandene Vermögen annähernd halbieren. Der gängige Deckungsgrad läge demzufolge bei katastrophalen 51%, was im heutigen regulatorischen Umfeld hektische Sanierungsbemühungen auslösen und möglicherweise zu einem panikartigen Abbau der Aktien- und Immobilienquote führen würde. Selbst wenn der Kurssturz mit einer markanten Abnahme der grundsätzlich viel weniger volatilen Cashflows um 30% verbunden wäre (in der Dotcom-Krise brachen die Dividenden bloss um einen Zehntel ein), läge die Dividendenrendite bei 4,8% (netto 4,6%) und die Nettorendite der Immobilien bei 3,9%. Der Zahlungsstrom würde mit 2,1 Mio. Fr. oder 2,1% auf dem notwendigen Vermögen noch immer einen Sollrendite-Erfüllungsgrad von über 100% indizieren. All jene Pensionskassen, die beim Crash über Obligationenbestände verfügen, müssten sich ernsthaft überlegen, dieselben in die bezüglich Cashflow nunmehr noch attraktiveren Aktien und Immobilien zu tauschen – dies umso mehr, als sich Kursstürze meist als vorübergehend erwiesen haben.

Für die Finanzierung der Altersvorsorge sind weniger kurz- und mittelfristige Schwankungen an den Finanzmärkten entscheidend als vielmehr die Nachhaltigkeit der Cashflows. Problematisch sind Einbrüche bei den Zahlungsströmen, wie wir sie in den letzten Jahren bei den Anleihen hoher Bonität beobachten mussten. Der Regulator täte gut daran, sich vom Paradigma einer Sicherung der nominellen Renten zu verabschieden und den Pensionskassen diesbezüglich mehr unternehmerische Freiheit zu gewähren. Alternativen (wie Aktien und Immobilien) sollten daher von geltenden regulatorischen Beschränkungen befreit werden. Mit den heutigen regulatorischen Anforderungen zur Sicherung der Pensionskassen läuft der Regulator Gefahr, selbst zu deren Zerstörung beizutragen – «todsichere» Obligationen ohne Rendite sind der sichere Tod der zweiten Säule.

Selbst wenn Renten nominal garantiert werden könnten, verbliebe ein erhebliches Risiko hinsichtlich deren Kaufkraft. Bei der seit Jahren liquiditätstreibenden Geldpolitik ist es sehr wohl möglich, dass inflationäre Tendenzen die Renten dereinst real schmälern werden. Mit einer auf Sachwerte gerichteten Anlagestrategie kann dies teilweise kompensiert werden, weil die Cashflows von Aktien und Immobilien mit der Inflation tendenziell zunehmen.

Gastkommentar von Christoph Zenger, Geschäftsleitungsmitglied der Firma Covasys Wyttenbach & Zenger

Quelle: NZZ
19.01.2017

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