Beim Essen sind die Pensionskassen heikel

Eine Umfrage unter den grossen Pensionskassen zeigt, dass die meisten nicht auf Rohstoffe aus der Landwirtschaft setzen.

Banken sehen keinen Bedarf, die Kunden zum Ausstieg aus Agrarrohstoffen zu bewegen – immerhin ist das Geschäft mit Nahrungsmitteln ein Milliardenmarkt. Weit kritischer ist man bei den Schweizer Pensionskassen. Dies ist  aufschlussreich im Kontext der ­Ab­stimmung zur Juso-Initiative «Stopp der  Spekulation mit Nahrungsmitteln» vom 28. Februar. Die allermeisten an­­gefragten Zweite-Säule-Stiftungen investieren nicht in Agrarrohstoffe oder haben sind unlängst aus diesen Investments zurückgezogen. Dies zeigt eine Umfrage, die der TA unter neun grossen Pensionskassen und dem AHV-Ausgleichsfonds durchführte.

Kontaktiert wurden die Publica ­(Eidgenossenschaft), die BVK (Kanton Zürich), die Bernische Pensionskasse (Kanton Bern), die Pensionskasse der Stadt Zürich, die Migros-Pensionskasse, die Pensionskassen von PWC (Wirtschaftsprüfer), die Sammelstiftungen Asga und Profond sowie die Pensionskasse von Novartis.

Die AHV und viele Pensionskassen investierten in den letzten zehn Jahren in gemischte Rohstofffonds, die typischerweise 80 bis 90 Prozent Energiewerte und Metalle enthielten und 10 bis 20 Prozent Agrarrohstoffe. Die Anlagenstile waren meist passiv und seltener aktiv. Passiv heisst, dass auf den Verlauf eines Börsenindizes spekuliert wird. Aktiv heisst, dass Pensionskassen an Hedgefonds beteiligt sind, die Rohstofftitel und -Derivate kaufen und verkaufen, um daraus eine höhere Rendite zu erzielen, als wenn sie passiv investieren würden.

Die wichtigen Argumente der Profianleger gegen Agrarrohstoffe sind ­folgende:

  • Keine verlässliche Rendite: Publica sagt, man sehe «keine systematische ­Risikoprämie einer solchen Anlage». Zur Begründung führt sie aus, die Marktlage wechsle stark. Mal seien die Produ­zenten zahlreicher am Markt, mal die ­Abnehmer. «Wir sehen nicht, wie wir daraus einen konstanten Ertrag erzielen könnten», sagt Anlagechef Stefan Beiner. Gleich argumentiert die Bernische Pensionskasse. Sie meide generell «Anlagen, die keinen regelmässigen Ertrag abwerfen». Ähnlich drückt es der AHV-Fonds aus: «Als Anlage haben land­wirtschaftliche Rohstoffe relativ wenig Vorteile, da ihre Preise stark von kurzfristigen Wetterbedingungen beeinflusst sind.» Noch einfacher sagt es die Pensionskasse der Stadt Zürich, die im April 2015 ausgestiegen ist: «Wir mussten ­feststellen, dass wir mit diesen Anlagen systematisch Geld verloren hatten».
  • Wenig relevant für Absicherung: Agrarrohstoffe nützen zur Absicherung gegen Inflations- und geopolitische Risiken. «Doch diesen Zweck erfüllen auch Edelmetall- und Energieanlagen», sagt ein Anlagechef, der nicht zitiert sein will. Dies bestätigt der grosse Anlagestrategieberater der Pensionskassen, PPCmetrics. «Ja, da dieser Effekt ist historisch über Edelmetall- und Energiekomponenten erzielt worden», sagt ­Dominique Ammann. Genau so sieht es der AHV-Fonds, der sich 2014 aus Agrarrohstoffen zurückgezogen hat. Der Fonds setzt jetzt nur noch auf Energie und Edelmetalle. «Dies vor allem, weil sich mit diesen zwei Sektoren, über eine ­längere Zeit gesehen, der höchste ­Mehrwert oder die grössten Diversifikationsvorteile erzielen lassen», sagt Eric Breval, Geschäftsleiter der Ausgleichsfonds AHV/IV/EO. Gleich beurteilen es die Publica und die BVK.
  • Ethische Bedenken: Die BVK schreibt: «Aus Gründen der Nachhaltigkeit verzichtet die BVK bewusst auf ­Anlagen in Agrarrohstoffe wie zum ­Beispiele in Mais- oder Weizentermin­kontrakte. Wegen der Abhängigkeit einzelner Entwicklungsländer von den globalen Lebensmittelpreisen sowie der Lebensmittelknappheit in zahlreichen Regionen der Welt wäre eine solche Anlage nicht mit den definierten Anlagegrundsätzen der BVK vereinbar.» Auch die Pensionskasse von PWC hat sich aus Nahrungsmittelinvestments verabschiedet. «Einerseits aus ethischen Gründen, anderseits weil wir nicht mehr überzeugt waren.»
  • Fehlende Expertise und Nutzen: «Rohstoffe sind für uns kein Thema, da wir weder spezielle Expertisen an Bord haben noch Opportunitäten sehen», sagt Profond-Präsident Olaf Meyer.

Keine Antwort geben wollte die ­Novartis-Pensionskasse. Man wolle ­sich «nicht zu aktuellen politischen Themen und Finanzfragen äussern». Laut Jahresbericht 2014 investiert die Pensionskasse 600 Millionen Franken in Rohstoffe. Sie will auch nicht offenlegen, welchen Anteil Agrarrohstoffe haben.

PPCmetrics schätzt das Engagement aller Pensionskassen in Rohstoffe auf rund 8 Milliarden Franken, knapp 1 Prozent des BVG-Gesamtvermögens – bei einzelnen Pensionskassen bis zu 5 Prozent des Kassenvermögens. «Davon ­machen die Agrarrohstoffe im Schnitt 20 bis 30 Prozent aus.» Dominique ­Ammann von PPCmetrics sagt, dass ­Pensionskassen bei Neuengagements ­zurückhaltend seien. «Einzelne Kassen haben ihre Rohstoffanlagen reduziert, andere halten an ihren Positionen fest.»

Die Asga will Profit machen

Eine solche Kasse ist die Gewerblerkasse Asga mit Sitz in St. Gallen (88 000 Ver­sicherte, 12 Milliarden Franken Ver­mögen). Sie hat seit Ende 2011 mit zwei Fonds in Rohstoffe investiert, wovon ein Viertel bis ein Drittel auf Nahrungsmittel entfallen, rund 200 Millionen Franken. Man habe damit Geld gewonnen. Der eine Fonds habe sei 2011 kumuliert rund 10 Prozent Erträge generiert, der andere 20 Prozent. Die Asga suche die «langfristige nachhaltige Wertvermehrung», den Inflationsschutz und eine «Ergänzung zum traditionellen Anlage­universum».

Was die Asga an der politischen Debatte stört, ist, dass der «positive Beitrag» der Finanzspekulation untergehe. «In einer perfekten Welt, wo Rohstoffproduzenten zu jeder Zeit und jedem Preis direkt an Konsumenten verkaufen können, wäre der Rohstoffinvestor nicht notwendig», sagt Asga-Anlagechef Jürg Althaus. Doch eine solche Welt gebe es nicht. Liquidität schmiere die ­Finanzmärkte, wozu auch der Rohstoffmarkt gehöre. Pensionskassen leisteten einen wichtigen Beitrag zur Handel­barkeit. Solange sich die Investoren innerhalb des gesetzlichen Rahmens be­wegten, würden sie «einen wichtigen Beitrag zu einem funktionierenden und effizienten Rohstoffmarkt» leisten. Davon profitierten «die Produzenten und die Konsumenten».

Günstiger dank Spekulation

Unredlich sei auch – so der Asga-Anlagechef –, dass während Zeiten steigender Rohstoffpreise (in den Jahren 2009 bis 2011) sich die Gegner von Rohstoff­spekulationen besonders vehement gegen solche äusserten. Was sie verschweigen würden, ist, dass in fallenden Märkten Spekulanten ebenfalls präsent sind. «Dieses spekulative Element kann Preise weiter nach unten drücken, was den Konsumenten zulasten des Produzenten begünstigt», sagt Althaus.

Ob dieser Einfluss nun nützlich oder schädlich ist, ist unter Wissenschaftlern sehr umstritten. Vor allem die An­fälligkeit auf Manipulationen wird hinterfragt: «Gewisse Studien zeigten, dass ­Finanzanleger im kurzfristigen Markt einen Einfluss auf den Preis ha-ben könnten», sagt Publica-Anlagechef ­Beiner. Mittel- bis langfristig sei dies ­allerdings nicht der Fall.

Argument der Preissicherheit

Trotz all dieser Vorbehalte plädiert der Präsident des Pensionskassenverbands Asip, Christoph Ryter, für «ein möglichst freies Anlageuniversum». Gerade bei Agrarrohstoffen würden Vorsorgeeinrichtungen «nicht als Spekulanten auftreten». Im Gegenteil, sie böten «den Produzenten eine Versicherung an, indem sie schon zu einem frühen Zeitpunkt für fixe Abnahmepreise und damit Preissicherheit sorgen», sagt der Asip-Präsident, der die Pensionskasse der Migros leitet. «Die Pensionskassen verantwortlich zu machen für Hungerkatastrophen ist unseriös», meint Chris­toph Ryter.

Quelle: Tages Anzeiger

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