Der BVG-Mindestzins liegt viel zu hoch

Wenn sich grössere Schweizer Pensionskassen ernsthaft überlegen, einige Militärbunker zu mieten, um vergleichsweise kostengünstig Banknoten einzulagern, glaubt man zunächst an einen Witz. Doch der Abwehrkampf gegen eine weitere Stärkung des Schweizerfrankens treibt tatsächlich derart sonderbare Blüten. Da die Schweizerische Nationalbank (SNB) einzelnen Banken inzwischen einen Negativzins von 0,75 Prozent aufbrummt, kann es durchaus dazu kommen, dass sie diesen auf jene Pensionskassen überwälzen, die bei ihnen unwillkommen hohe Bargeldbestände halten. Die Rechnung geht nun dahin, mit dem Einrichten eines riesigen «Tresors irgendwo im Wald» besser zu fahren. Vermutlich wird es nicht dazu kommen, aber die mit Negativzinsen aufgetauchte Problematik ist durchaus ernst zu nehmen.

In diesem Zusammenhang muss daran erinnert werden, dass es dem Bundesrat gut anstünde, auf einen im Spätherbst 2014 gefassten Entscheid zurückzukommen. Damals wurde der Mindestzins, der in der beruflichen Vorsorge (BVG) gilt, vorausblickend mit unverändert 1,75 Prozent für das laufende Jahr festgesetzt. Die Begründung: Während die Rendite der Bundesobligationen auf tiefen Werten verharre, hätten sich die Anleihen und Liegenschaften gut entwickelt; trotz den gegenwärtigen Schwankungen an den Aktienmärkten sei eine Senkung des geltenden Satzes – auch für 2013 hatte der BVG-Mindestzins 1,75 Prozent betragen – nicht angebracht.

Darf im Umkehrschluss daraus gefolgert werden, dass der Satz schleunigst gesenkt werden muss, weil die Rendite der Bundesobligationen in den Keller gesunken ist beziehungsweise Geld bezahlt werden muss, um Schuldenpapiere des Bundes halten zu dürfen? Wie es der Name sagt, sollte der BVG-Mindestzins vorsichtig gesetzt werden, damit er auch für solche Vorsorgewerke, die kaum Gelder über das Obligatorium hinaus anlegen können, immer erreichbar bleibt. Diesem Kriterium ist nicht mehr Genüge getan, obschon es Pensionskassen gewohnt sind, ihre Verpflichtungen – sie sind jetzt wegen der spärlichen Zinsen noch schwerer geworden – langfristig zu führen. Doch was passiert, wenn der Euro in noch schlimmere Turbulenzen gerät und die SNB die Negativzinsen weiter hinaufsetzt?

Gouverner, c’est prévoir – mutiges Regieren würde es nahelegen, in ungewöhnlichen Zeiten, wie sie jetzt herrschen, zu einer viel zu optimistisch gesetzten Zinsprognose offen zu stehen. Der Bundesrat hat sich vertan, das wohlgemerkt auf Empfehlung der Eidgenössischen Kommission für berufliche Vorsorge, die es auch nicht besser wusste und je wird wissen können. Würde der BVG-Mindestzins nun aufgehoben, ausgesetzt oder zumindest stark abgesenkt, wären einige Freiheitsgrade gewonnen, ein vertrauensbildendes Signal gesetzt. Es darf nicht unterschätzt werden, dass schlecht positionierte Pensionskassen oder Rentnerkassen, die sich eine aggressive Anlagestrategie eigentlich nicht leisten dürfen, just aufgrund behördlicher Vorgaben in solche Gewässer gelockt werden. Gewiss, drei Jahre mit schönen Anlagerenditen in Folge haben die Deckungsgrade der meisten Kassen auf über 100 Prozent steigen lassen, aber das ist eine Momentaufnahme.

Die Eskalation an der Zinsfront, die womöglich Vorbote für eine Verschärfung der Euro-Krise ist, darf nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Verharren die Frankenzinsen längere Zeit im Minusbereich, wird es spätestens dann sehr ungemütlich, wenn es an den Aktienmärkten zu Einbrüchen kommt oder die Immobilienpreise in der Schweiz ins Rutschen geraten. Insgesamt sind die Anlagerisiken gestiegen. Da wäre es nicht verkehrt, wenn die falsch gesetzten BVG-Parameter – der gesetzliche Rentenumwandlungssatz ist das noch grössere Ärgernis als der Mindestzins – korrigiert oder aus der Welt geschafft würden. Niemand wird dereinst behaupten können, es habe keine warnenden Stimmen gegeben. Der Internationale Währungsfonds hat die dysfunktionale Aufsicht der Schweiz in der Altersvorsorge mehrfach kritisiert. Während Lebensversicherer seit Einführung des Swiss Solvency Test einer verschärften Aufsicht unterliegen, werden unter der Ägide des Bundesamts für Sozialversicherungen bei Pensionskassen Leistungsvorgaben mit einem Seitenblick auf sozialpolitische Ziele gesetzt. Das kann schiefgehen.

Quelle: NZZ
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