Der Zusatzprofit der 2.-Säulen-Sparer

Der Steuerfall Kiener Nellen zeigt, wie bei Pensionskasseneinkäufen Ersparungen anfallen. Einen davon will Bundesrat Berset stoppen.

Hätte sich die Berner SP-Nationalrätin Margret Kiener Nellen in ihrem Kampf gegen Steueroptimierungen aller Art nicht so weit aus dem Fenster gelehnt, wäre ihr Fall wohl nicht publik geworden. Vor Monatsfrist hatte die «Welt­woche» aufgedeckt, dass das vermögende Ehepaar Kiener Nellen 2011 kein Einkommen versteuerte, weil Alfred Nellen dank einer Einzahlung von 400’000 Franken in die Pensionskasse die Einkommenssteuer auf null drücken konnte.

Solche Einzahlungen können auch Selbständigerwerbende machen. Eine Auswertung der Kantone Zürich, Bern, Luzern und Genf für die Steuerperiode 2010 hat ergeben, dass 3 Prozent aller Selbstständigerwerbenden für 300 Millionen Franken PK-Einkäufe machten. Ihr Einkommen war um das Vierfache höher als der Durchschnitt. Hochrechnungen gestützt auf diese vier Kantone ergeben, dass die jährliche Einkaufssumme schweizweit bei 700 Millionen Franken liegen dürfte. Dies steht im Bericht von Bundesrat Alain Berset zur Reform der Altersvorsorge 2020. Mangels neuerer Untersuchungen lässt sich nicht sagen, ob die Zahl steigend ist.

Bersets Pläne

Dabei zeigt sich eine weitere Form von Optimierung auf Kosten der Allgemeinheit: Der Selbständigerwerbende spart nicht nur kräftig Steuern, sondern auch AHV-Beiträge. Denn auf die Hälfte seiner Einzahlung muss er laut Gesetz keine AHV-Abzüge machen. Ein Privileg, das Angestellten nicht zusteht. Bezogen auf die bereits erwähnten 700 Millionen Franken schweizweit bedeutet das, dass der AHV, der IV und der Er­werbs­ersatzordnung (EO) jährlich mehr als 30 Millionen Franken an Beiträgen entgehen.

Diese Ungleichbehandlung will Berset nun in der anstehenden Reform eliminieren. Pensionskasseneinkäufe von Selbstständigen sollen nicht mehr von den AHV/IV-Abgaben verschont werden. Lapidare Begründung: Heute profitierten «fast ausschliesslich sehr gut verdienende Selbstständigerwerbende», heisst es im Bericht.

An eine weitergehende Einschränkung der Einkaufsmöglichkeiten insgesamt ist schon gar nicht zu denken. Allein schon die Unterstellung der Einkäufe unter die AHV-Abgabe ist den bürgerlichen Parteien und Wirtschaftsverbänden nicht genehm, wie man in den Vernehmlassungsbeiträgen nachlesen kann. Support erhält Berset in diesem Punkt wenigstens von den Linken. Als vehemente Befürworterin der Abschaffung von Steuersparmöglichkeiten via zweite Säule hat sich in den letzten Jahren bekanntlich die Sozialdemokratin Margret Kiener Nellen profiliert.

Freiwillige steuerbefreite Einzahlungen in die berufliche Vorsorge durch Arbeitnehmer und Selbstständige sind vom Gesetzgeber gewollt. Der Gedanke dahinter: Wer später ins Berufsleben eintritt, etwa wegen der Ausbildung, oder das Berufsleben unterbricht, wenn Kinder zur Welt kommen, soll die dadurch entstehenden Lücken in der zweiten Säule durch eigene Beiträge schliessen können. Auch wer sich vorzeitig pensionieren lassen will, hat so die Möglichkeit, die absehbar tiefere Vorsorgeleistung auszugleichen. Das Steuerprivileg soll also dafür sorgen, dass man seine Altersvorsorge ausbauen kann.

Erst mit 45 Jahren ein Thema

Die Realität: In jungen Jahren mag niemand an die ferne Pensionierung denken. «Bis 45 ist die Vorsorge für die meisten kein Thema», erklärt Urs Bracher, Sekretär der Schweizerischen Kammer der Pensionskassen-Experten. Kommt dazu, dass die Sparquote gering ist, solange Kinder finanziert werden müssen und Wohneigentum erworben wird.

Wie viele Arbeitnehmer jährlich freiwillig in die zweite Säule einzahlen, ist schwierig zu eruieren. Die Steuerverwaltung des Kantons Zürich erkärt auf Anfrage, dass sie über keine statistischen Erhebungen verfüge. Die Schweizerische Pensionskassenstatistik weist für 2013 unter der Rubrik «Einmaleinlagen und Einkaufssummen der aktiv Versicherten» 4,2 Milliarden Franken aus, wovon 3,7 Milliarden auf die privatrechtlichen Vorsorgeeinrichtungen entfallen. Dem stehen die ordentlichen Einzahlungen von 16,5 Milliarden gegenüber.

Bei der grössten öffentlich-rechtlichen Vorsorgeeinrichtung der Schweiz, der Publica, haben rund 2500 Versicherte im Zeitraum von Oktober 2013 bis Oktober 2014 freiwillige Einkäufe getätigt. Das sind 4 Prozent aller Versicherten. Der Durchschnittswert der Einzahlungen liegt bei 23’000 Franken, wie Publica-Chef Daniel Burgunder erklärt. Die Gesamtsumme wird in der Jahresrechnung nicht separat ausgewiesen, sondern verbirgt sich im Sammelposten «Einmaleinlagen und Einkaufssummen». Für 2013 umfasst dieser Posten rund 309 Millionen Franken.

Bei der Pensionskasse der Credit Suisse wurden 2013 rund 103 Millionen Franken einbezahlt, 2012 waren es 80,2 Millionen Franken, wie eine Sprecherin erklärt. Der Anteil der Mitarbeitenden, die das Instrument nutzen, liegt mit rund 12 Prozent höher als bei der Pensionskasse des Bundes.

Zusätzlicher Schutz

Je höher die einbezahlte Summe, desto grösser ist die Wirkung auf die Steuer­belastung. Im Idealfall lässt sich die Einkommenssteuer auf null Franken drücken. Wählt man zudem bei der Pensionierung den Kapitalbezug statt eine lebenslängliche Rente, profitiert man von einer besonders günstigen Besteuerung. Für eine Einzahlung von 400’000 Franken müssten gemäss Berner Steuerverwaltung lediglich 30’000 Franken abgeliefert werden. Noch günstiger käme der Kapitalbezug, wenn vorgängig der Steuersitz nach Appenzell verlegt würde. Der idyllische Ort verlangt schweizweit am wenigsten Steuern, im Vergleich zu Bern fast 10’000 Franken weniger.

Wer optimiert, kann sich noch auf eine weitere Änderung freuen. Die Reformpläne von Bundesrat Berset sehen nicht nur vor, dass das Recht auf Einkäufe im Gesetz über die berufliche Vorsorge (BVG) zementiert wird, nachdem es zuvor nur implizit garantiert war. Er will einen zusätzlichen Schutz für die einbezahlten Summen anordnen. Mit den Einkäufen soll zuerst der obligatorische Teil der Vorsorge vollständig aufgefüllt werden. Erst dann fliesst Geld in den überobligatorischen Bereich. Heute werden freiwillige Einzahlungen nur im überobligatorischen Topf eingebucht.

Dem Laien mag das unerheblich erscheinen, was es aber nicht ist. Im obligatorischen Bereich profitiert der Versicherte unter anderem von höheren Umwandlungssätzen (bestimmt die Höhe der monatlichen Rente), von der gesetzlich festgelegten Mindestverzinsung und einer Besserstellung, sollte die Pensionskasse in Schieflage geraten.

Quelle: Tages-Anzeiger

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