Die Debatte um Negativzins-Ausnahmen fokussiert sich auf einen Nebenschauplatz

Pensionskassen wollen von Negativzinsen ausgenommen werden. Herausgefordert sind sie indes ganz anderswo.

Es ist das klassische Dilemma, mit dem Entscheidungsträger öfter konfrontiert sind und das jetzt auch die Schweizerische Nationalbank (SNB) beim Thema Negativzinsen einholt. Prinzipiell wird die Zweckmässigkeit dieser Massnahme nicht infrage gestellt, um Geldzuflüsse in den Franken und die damit einhergehende Aufwertung der Schweizer Währung zu unterbinden. Doch warum sollen auch Sozial- und Vorsorgeinstitutionen durch Negativzinsen belastet werden, die doch vor allem gegen aus­ländische Investoren gerichtet sind? Da ist es naheliegend, dass Rufe nach Aus­nahmen laut werden, um vermeintliche Kollateralschäden zu verhindern.

Streng genommen ist die SNB die ­falsche Adressatin für die Klagen der Pensionskassen: Nicht das Noteninstitut belastet sie mit dem Negativzins, sondern diverse Banken stellen ihren Gross­kunden eine solche Gebühr auf deren Kontobeständen in Rechnung. Diese Banken überwälzen so jene Kosten, die ihnen durch den Negativsatz der SNB von 0,75 Prozent erwachsen; und zwar auf Gelder, welche die Banken auf Girokonten bei der SNB geparkt haben – nach Abzug eines Freibetrags.

Um den Negativzinsen zu entgehen, könnten Pensionskassen ihre Konten bei Banken einrichten, die ihrerseits nicht von den Negativzinsen betroffen sind. Das gilt beispielsweise für die Raiffeisen-Gruppe: Mit ihren Geldern auf dem SNB-Girokonto hat sie den Freibetrag bei ­weitem nicht ausgeschöpft.

Eidgenossen sind das Problem

Wie sehr sind die Träger der beruflichen Vorsorge überhaupt von den Negativzinsen betroffen? Rund 40 Milliarden Franken halten sie in Form flüssiger Mittel, ist von Hanspeter Konrad, Direktor des Pensionskassenverbands Asip, zu erfahren. Dies entspreche 5 bis 6 Prozent der Pensionskassenvermögen von 730 Mil­liarden Franken. Da die Kassen jährlich 20 bis 25 Milliarden an Rentenleistungen zahlen, müssen sie laut Konrad «einen Grundstock an Liquidität halten, für den sie jetzt auch noch zahlen müssen».

Dazu kommen die negativen Verfallsrenditen auf Schweizer Staatsanleihen: Wenn Gläubiger diese Titel bis zum Ende ihrer Laufzeit halten, erhalten sie auch unter Einbezug der Zinsen weniger ausbezahlt, als sie beim Erwerb bezahlen mussten. Auch diese Widrigkeit erhöhe tendenziell die Liquiditätshaltung der Pensionskassen, sagte Konrad.

Unter der Annahme, dass die Negativzinsen auf dem gesamten Liquiditäts­bestand der Pensionskassen anfallen, dürften die Belastungen maximal 300 Millionen Franken betragen. Es geht also nicht um Summen, die einen Vorsorgeträger aus dem finanziellen Gleichgewicht brächten, wie auch ihre Vertreter einräumen. Daniel Kalt, Chefökonom Schweiz der UBS, wertete denn die ­Negativzinsen auf den Cash-Beständen als «das kleinere Problem». Um gleich anzufügen: «Viel schwerer auf den Pensionskassen lastet, dass mit der Ankündigung der Nationalbank die gesamte Zinskurve der Eidgenossen-Anleihen bis zu einer Laufzeit von gegen 15 Jahren in den negativen Bereich gefallen ist.»

Anreize für Auslandsanlagen

Anders ausgedrückt: Selbst risikoarme Anlagen mit längeren Laufzeiten bescheren den Vorsorgeträgern einen garantierten Verlust. «Je länger diese Situation anhält», so Kalt, «desto grösser werden die Belastungen für unser Vorsorge- und Sozialsystem.» Der UBS-Ökonom erinnert dabei an eine Faustregel, wonach ein Rückgang des Zinsniveaus um 1 Prozentpunkt den Deckungsgrad einer Pensionskasse um 10 Prozentpunkte sinken lässt.

Vor diesem Hintergrund käme einer Ausnahmeregelung für Pensionskassen, die sie vor den Belastungen der Negativzinsen verschonen würde, eine primär symbolische Bedeutung zu. Für die SNB steht jedoch nicht Symbolik im Vordergrund – so wichtig sie in schwierigen Zeiten sein mag –, sondern das Setzen von Anreizen. «Eine Sonderlösung für Pen­sionskassen würde dazu führen, dass sie weniger Druck verspüren, sich nach alternativen Anlagen umzusehen, etwa solchen in Fremdwährungen», gab SNB-Sprecher Walter Meier zu bedenken.

Bei der Nationalbank geht man davon aus, dass Pensionskassen in den letzten Jahren mittels Währungsabsicherungen sowie Rückführungen von Fremdwährungsanlagen zum Aufwärtsdruck auf den Franken beigetragen haben. Daher sei auch anzunehmen, dass die Penionskassen – gemessen an ihren gesetzlichen Anlagebeschränkungen – «noch Freiräume für Auslandsanlagen» hätten, wie Meier hinzufügte.

Daniel Kalt ist zwar gleicher Ansicht, doch haben für ihn höhere Fremdwährungsengagements der Pensionskassen «schlicht keinen Sinn», weil sowohl ihre Beiträge wie auch ihre Ausschüttungen in Franken anfallen. Gleichwohl wandte sich der UBS-Mann gegen eine Ausnahmeregelung: Erfahrungsgemäss führe bei komplexen Regulierungen ein weiter Kreis von Ausnahmen dazu, dass findige Marktteilnehmer solche Ausnahmen zu ihrem Vorteil auszunutzen begännen.

Quelle: Tages-Anzeiger
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