Druck durch Buchungsregel – Vorsorge als Dorn im Auge?

Ein 2013 angepasster Standard zur Abbildung der beruflichen Vorsorge hinterlässt tiefe Spuren in Unternehmensbilanzen. Ändern Schweizer Konzerne deshalb Vorsorgepläne zum Nachteil von Versicherten?

Welchen Einfluss haben internationale Rechnungslegungsstandards auf die berufliche Vorsorge? Ändern Schweizer Konzerne Vorsorgepläne zum Nachteil von Versicherten, um negative Folgen für die Bilanz zu vermeiden und bei Bankanalytikern und Rating-Agenturen besser dazustehen? Über diese Thematik wird in der Pensionskassen-Branche weiterhin heiss diskutiert – auch nach der Publikation eines Forschungsberichts im Auftrag des Bundesamts für Sozialversicherungen (BSV) im vergangenen Jahr.

Ein «trojanisches Pferd»?

Der genannte Bericht von Swisscanto Vorsorge – deren Vorsorgeberatung nach einem Management-Buyout 2015 nun unter dem Namen Prevanto am Markt aktiv ist – beginnt mit dem Satz, der Wirtschaftsstandort fürchte sich vor einem «trojanischen Pferd». Konkret geht es dabei um die internationalen Rechnungslegungsvorschriften (IFRS), in denen der Anfang 2013 in Kraft getretene, neu überarbeitete Standard IAS 19 enthalten ist. Dieser regelt unter anderem die Abbildung der beruflichen Vorsorge in den Bilanzen der Arbeitgeber. Es werde befürchtet, dass Unternehmen Vorsorgepläne zum Nachteil von Versicherten änderten, weil IAS 19 die Vorsorgeverpflichtungen und den Vorsorgeaufwand, den sie in ihren Jahresrechnungen ausweisen müssen, erhöhe, heisst es im Vorwort des BSV zu dem Bericht.

Swisscanto Vorsorge fand aber keine generellen Auswirkungen von IAS 19 auf die Organisation der beruflichen Vorsorge. In Einzelfällen könne es zu einer einseitigen Anpassung der Vorsorgepläne kommen, ein systematischer Risikotransfer des Arbeitgebers zu den Arbeitnehmern wegen IAS 19 sei aber nicht zu beobachten, schrieben die Autoren Lukas Müller und Stephan Wyss. Allerdings sei das Resultat der Studie selbst für ihn überraschend gewesen, sagt Prevanto-Partner Wyss dazu. Er gehe beispielsweise davon aus, dass die jüngst bekanntgegebenen Kürzungen der Credit Suisse bei ihrer Pensionskasse nicht zuletzt auf Rechnungslegungsstandards zurückzuführen seien. Die Grossbank bilanziert nach US-GAAP.

Das sehen auch andere Branchenvertreter so. IAS 19 sei wie ein «übergeordnetes Gesetz», an dem sich Schweizer Konzerne und Pensionskassen immer stärker orientieren müssten, sagt etwa Peter Zanella von der Beratungsgesellschaft Willis Towers Watson. Früher habe es eine «Schweizer Welt» und eine «internationale Welt» gegeben, doch diese Zeiten seien vorbei. Die Führungen der Unternehmen, die nach IFRS bilanzierten – dies sind vor allem kotierte, grössere Konzerne –, überlegten sich heutzutage genau, welchen Effekt Änderungen von Vorsorgeplänen für ihre Bilanz hätten.

Dieser ist laut Zanella oft sehr gross. Auch Swisscanto Vorsorge kommt in dem Bericht zu dem Ergebnis, dass IAS 19 in vielen Fällen dazu führt, dass Unternehmen bedeutende Verbindlichkeiten ausweisen müssen. Der Standard hinterlasse oft tiefgreifende Spuren sowohl in der Bilanz als auch in der Erfolgsrechnung von Unternehmen.

Da Pensionskasse und Unternehmen in der Schweiz eigentlich rechtlich strikt getrennt sind, gäben die meisten Konzernführungen nicht gerne zu, dass sie sich aktiv in die Entscheidungen des Stiftungsrats der Pensionskasse ihres Unternehmens einmischten, sagt Zanella. Stiftungsräte seien sich heute bewusst, dass man mit einem höheren Umwandlungssatz ein grösseres Versprechen mache, das dann entsprechend höhere Verpflichtungen bedeute. Diese müssten gemäss IAS 19 wiederum in der Bilanz des Arbeitgebers gezeigt werden. Ein Zeichen dafür, dass Unternehmen die Risiken bei der beruflichen Vorsorge zunehmend auf ihre Mitarbeitenden überwälzen wollten, seien auch die Einführung sogenannter «1e-Pläne» und die Bevorzugung der Kapitalauszahlung anstelle der Rentenzahlung bei immer mehr Pensionskassen.

Kritische Rating-Agenturen

Bei «1e-Plänen» können Vorsorgende bei einem Jahresgehalt von 126 900 Fr. die Anlagestrategie für die Lohnkomponenten oberhalb dieser Grenze selbst bestimmen. Allerdings tragen sie dann auch das Risiko dieser Anlagestrategie. Wyss von Prevanto geht davon aus, dass solche «1e-Pläne» durch Wirkungen in der Jahresrechnung des Arbeitgebers gefördert werden. Die Rechnungslegungsvorschriften seien höchst selten alleine für Anpassungen verantwortlich, aber verstärkten sehr wohl Trends oder schwächten diese ab.

Nach den Anpassungen von IAS 19 im Jahr 2013 sei einigen Finanzchefs in Schweizer Konzernen erst in jüngster Zeit schlagartig bewusst geworden, welch grossen Einfluss die Pensionskasse auf die Bilanz des Unternehmens habe, sagt Roland Schmid, Geschäftsführer von Swiss Life Pension Services. Das Thema werde nun akut, da wegen des extrem niedrigen Zinsniveaus der unter IAS 19 anzuwendende technische Zins von unter 1% eine starke Erhöhung der Verpflichtungen zur Folge habe. Pensionskassen senken zudem wegen der reduzierten Renditeerwartungen ihre Umwandlungssätze und damit die künftigen Leistungen. Nach IAS 19 führt eine Anpassung der künftigen Leistungen zu einer sogenannten Planänderung, die als Einmaleffekt («past service cost») erfasst werden müsse. Vor der Anpassung von IAS 19 fingen die Unternehmen beide Effekte mit der sogenannten Korridormethode – einer Art Glättungsmechanismus – ab, was nun nicht mehr möglich ist.

Zusätzliche Bedeutung erhält das Thema durch die internationalen Rating-Agenturen. In ihren Kredit-Ratings für Unternehmen berücksichtigen die Bonitätswächter die Lage der jeweiligen Pensionskasse, da die Konzerne letztlich für die Renten ihrer Mitarbeiter einstehen müssten. Demzufolge haben Unternehmen bei einer schlechten Lage der Vorsorgeeinrichtung ein entsprechendes Risiko, das sich dann negativ im Rating niederschlägt. Rating-Agenturen und Bankanalytiker schauten bei der beruflichen Vorsorge von Konzernen immer genauer hin, sagt Schmid. Dies könnte auch Folgen für Schweizer SMI-Konzerne haben und für Druck auf die berufliche Vorsorge sorgen. Laut Schmid argumentieren auch viele Revisionsgesellschaften im Sinne der Rating-Agenturen – wohl auch, um sich selber abzusichern. Schliesslich seien die Kapitalmärkte amerikanisch dominiert.

Leistungsgarantien im Fokus

Erschwerend kommt hinzu, dass IAS 19 den Beitragsprimat von Schweizer Pensionskassen nicht als «defined contribution» anerkennt. Wie Swisscanto Vorsorge in dem Forschungsbericht schreibt, ist dies nur erfüllt, wenn der Arbeitgeber in keiner Art und Weise dazu verpflichtet werden kann, neben den fixen Beiträgen an seine Mitarbeiter zusätzliche Leistungen auszurichten. Da für Arbeitgeber aber diesbezüglich «Restrisiken» verblieben, würden Schweizer Vorsorgepläne in aller Regel als leistungsorientierte Zusage («defined benefit») behandelt. So sorgen sie für verhältnismässig hohe Verpflichtungen in den Büchern.

An den angelsächsisch geprägten Finanzmärkten kämen auch Schweizer Leistungsgarantien wie die jeweils politisch festgelegten Sätze BVG-Mindestzins oder BVG-Mindestumwandlungssatz nicht gut an, sagt Schmid. Die Ausgestaltung des hiesigen Vorsorgesystems werde Schweizer Konzernen international oft als Nachteil ausgelegt. Dieser könne sich bei Aktivitäten am Kapitalmarkt oder bei Übernahmen manifestieren. Schweizer Unternehmen müssten hier teilweise einen «Risikoaufschlag» bezahlen.

Die wachsende Bedeutung des Standards IAS 19 könne unter anderem zu Druck auf die berufliche Vorsorge und möglichen Leistungsreduktionen führen, sagt Schmid. Trotzdem beobachte er bei den meisten Schweizer Konzernen weiterhin die Bereitschaft, das Vorsorgeniveau hochzuhalten. Schliesslich gehe es dabei auch darum, wichtige Mitarbeiter im Unternehmen zu halten.

Zanella hingegen befürchtet, die Entwicklung könnte sich zuspitzen, falls das Kapitaldeckungsverfahren immer stärker an seine Grenzen stosse. Dies sei dann der Fall, wenn sich am Kapitalmarkt keine positiven Renditen mehr erzielen liessen und das Eingehen von Risiken nicht mehr belohnt werde. Die Geldschwemme der Zentralbanken, die Zinsen künstlich nach unten drückt, würde in diesem Fall das Vorsorgesystem in ernste Bedrängnis bringen.

Quelle: NZZ

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