Enteignungen der Jungen im BVG-System

Infolge der hartnäckig niedrigen Zinsen akzentuiert sich die Umverteilung in der zweiten Säule von Jung zu Alt laufend. Der Lebensversicherer Axa Winterthur schätzt die jährliche Umverteilung total auf 3,5 Mrd. Fr.

Nicht alle wollen es wissen, aber der gesetzliche BVG-Mindest-Rentenumwandlungssatz liegt mit 6,8% meilenweit von der Realität entfernt. Dies zwingt in der Schweiz die meisten Pensionskassen und alle Lebensversicherer dazu, Jahr für Jahr zu Lasten der jüngeren Generation aus dem diesen im Prinzip zustehenden Topf Geld zu nehmen, um übersetzte Renten, vor allem auch für Neurentner, zu leisten. Axa-Winterthur hat soeben bekanntgegeben, dass bei ihr alleine die Umverteilung im Jahr 2013 den stolzen Betrag von 416 Mio. Fr. erreichte. Im zurückliegenden Jahr dürften es noch einige Dutzend Millionen mehr gewesen sein. Sozialminister Alain Berset hat im Rahmen der «Altersvorsorge 2020» die Senkung dieses Satzes von 6,8% auf 6,0% vorgeschlagen, was immerhin ein Schritt in die richtige Richtung wäre.

Für Fairness sorgen

Im Gegensatz zur AHV, die nach dem Umlageverfahren organisiert ist, kennt das BVG von seinem Wesen her als Kapitaldeckungsverfahren eigentlich keine Umverteilung. Doch bekanntlich ist das ein hehrer Grundsatz, gegen den seit vielen Jahren krass verstossen wird. Alle Kassen, die als umhüllende Vorsorgeeinrichtungen einen BVG-Spar-Teil oberhalb des Obligatoriums mit verwalten, nehmen letztlich von diesen überobligatorischen Beträgen, um im obligatorischen Teil den gesetzlichen Satz von 6,8% überhaupt noch stemmen zu können.

Wenn die Axa-Winterthur im überobligatorischen Teil nun den Umwandlungssatz in ihrer BVG-Vollversicherung bis 2018 schrittweise auf 5,0% senkt, und zwar für Frauen und Männer, wird diese Ventilfunktion offenkundig. Erst vor einem Jahr war der Umwandlungssatz auf Anfang 2015 auf 5,604% (für Männer) und 5,480% (für Frauen) gesenkt worden. Da Lebensversicherer gesprochene Renten auf Lebenszeit leisten müssen und im Falle einer Unterdeckung ihr Geschäft einstellen müssten, sind sie zu spitzem Kalkulieren gezwungen. Pensionskassen können mit einem Deckungsgrad bis etwa 90% kutschieren, bevor Sanierungsmassnahmen ergriffen werden müssen.

Axa-Winterthur erinnert daran, dass die Zahl der Neurentner in den kommenden 15 Jahren (Stichwort: Babyboomer) stark steigen wird. Aber nicht nur das: die Lebenserwartung von 65-jährigen Frauen ist im Zeitraum von 1981 bis 2013 von 18,2 Jahren auf 22,1 Jahre gestiegen, für Männer gleichen Alters von 14,3 auf 19,1 Jahren. Es ist naheliegend, dass die Lebenserwartung in Zukunft auf Grund des medizinischen Fortschritts weiter steigen wird und de facto für Seniorinnen und Senioren jetzt schon höher liegt, weil die Durchschnittszahlen unter anderem durch früher Verstorbene (u. a. Unfälle) nach unten gedrückt werden.

Es geht um viel Geld

Axa Winterthur gibt in einer am Gründonnerstag versandten Pressemitteilung unumwunden zu, dass in der Vergangenheit nicht nur aus der laufenden Anlagerendite, sondern auch aus den Risikoprämien (Sicherung gegen Tod und Invalidität) Geld genommen wurde, um garantierte Renten tatsächlich finanzieren zu können. Ein besserer Risikoverlauf ermöglichte es den Lebensversicherern, aber auch den meisten Pensionskassen, in den letzten Jahren mit Überschüssen unrealistisch hohe BVG-Renten (jene mit dem Umwandlungssatz 6,8%) mitzufinanzieren.

In diesem Zusammenhang legt Axa Winterthur die Schätzung vor, dass jährlich in der Schweiz über 3,5 Mrd. Fr. systemwidrig von den aktiven Versicherten zu den Rentnern fliessen – Tendenz steigend. Die Credit Suisse war mit ihren Berechnungen früher zu einer ähnlichen Zahl gelangt. Eine vom Bundesamt für Sozialversicherungen in Auftrag gegebene Studie kam jüngst (NZZ 25.3.2015) zum Ergebnis, bei 27 handverlesenen Pensionskassen seien im Zeitraum 2009/2013 die sogenannten «Pensionierungsverluste» von 310 Mio. auf 480 Mio. Fr. gestiegen.

Was die Kundschaft der Axa-Winterthur betrifft (vornehmlich KMU-Firmen), muss jede versicherte Person durchschnittlich mit einer Minder-Verzinsung von jährlich fast 1000 Fr. für diese politisch gewollte Umverteilung «bluten». Das ist für die Jungen umso bitterer, weil durch diesen Mechanismus ihre Chancen, via Zinseszins-Effekte Altersgutschriften anzusammeln, laufend unterminiert wird. Solange der gesetzliche Satz mit 6,8% in der Stratosphäre angesiedelt bleibt, zahlt nach den Berechnungen von Axa Winterthur ein «typischer Versicherter mit 200 000 Fr. im überobligatorischen Teil», indem seine Altersrente um rund 100 Fr. monatlich tiefer ausfällt; ab 2018 gilt nur noch ein Satz von 5%, das heisst Altersgutschriften von 200 000 Fr. werden in eine Jahresrente von 10 000 Fr. gewandelt. Irgendwie muss ja die Rechnung ins Lot gebracht werden.

Das wird als Aufgabe so bleiben, selbst wenn es gegen den geballten Widerstand der linksorientierten Politiker und zugewandter Kreise aus dem bürgerlichen Lager doch noch gelingen sollte, bis 2020 diesen sozialpolitisch explosiven Satz auf (zu hohe) 6,0% herunter zu bringen.

Quelle: NZZ
03.04.2015

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *