Nationalrat: Rentenreform auf Schlingerkurs

Die Auftakt-Debatte in der grossen Kammer zeigt, dass ein Scheitern der Rentenreform inzwischen ein plausibles Szenario geworden ist. Eine mehrheitsfähige Linie ist nicht erkennbar.

Die Altersvorsorge-Reform 2020 wäre nicht die erste Rentenvorlage, die bereits im Parlament scheitert. So geschehen ist es mit der 11. AHV-Revision, die der Nationalrat 2010 in der Schlussabstimmung versenkt hat. Jetzt ist die Aufgabe noch viel schwieriger, weil der Bundesrat die erste und zweite Säule gleichzeitig sanieren will. Weitere erschwerende Faktoren kommen hinzu. Aus dem Ständerat kommt eine Vorlage, die von einer Mitte-Links-Allianz geprägt ist. In der grossen Kammer hingegen will die Mehrheit aus FDP und SVP dem Paket ihren Stempel aufdrücken. Nicht schlüssig sind zudem die Entscheide der vorberatenden Nationalratskommission. Gerade in einem derart komplexen Dossier wäre eine klare Linie gefordert, die dem Plenum als Orientierung dienen würde. Doch nur 10 von 25 Kommissionsmitgliedern standen am Schluss hinter der Vorlage. Ein solches Geschäft würde normalerweise auf die nächste Session verschoben, sagte Kommissionssprecherin Isabel Moret (fdp., Neuenburg) am Montag. Doch die Zeit drängt: Um die 0,3 Mehrwertsteuerprozente aus der IV-Zusatzfinanzierung ohne hohe Umstellungskosten für die Wirtschaft direkt für die AHV verwenden zu können, muss die Vorlage 2017 zu Ende beraten sein.

Zur allgemeinen Verwirrung beigetragen haben in den vergangenen Tagen der – vom Nationalrat am Montag abgelehnte – Antrag der SVP nach Stückelung des Pakets in drei Teile und der Vorschlag der FDP für eine bessere Kompensation der Senkung des Umwandlungssatzes in der Pensionskasse. Bundesrat Alain Berset ist sich der heiklen Lage bewusst, wenn er sagt, nicht mehr viel scheine zu halten.

«Nicht mehr enkeltauglich»

Im Grundsatz ist man sich einig, dass es eine Reform braucht. «Die Altersvorsorge ist nicht mehr enkeltauglich», sagte Kathrin Bertschy (glp., Bern). Bei der Einführung der AHV 1948 betrug das Verhältnis zwischen Beitragszahlern und Pensionierten 6 zu 1. In 20 Jahren, wenn das Gros der Babyboomer das Rentenalter erreicht haben wird, wird dieses Verhältnis auf 2 zu 1 sinken. Die – erfreulicherweise – gestiegene Lebenserwartung führt dazu, dass die Menschen länger Rente beziehen, was wiederum finanziert werden muss. Auch die zweite Säule leidet unter der steigenden Lebenserwartung, gepaart mit tiefen Anlagerenditen. Dies führt zu einer milliardenschweren Umverteilung von Aktiven zu Pensionierten.

Immerhin sind wichtige Eckpfeiler des bundesrätlichen Vorschlags zur Konsolidierung der Vorsorgewerke in beiden Räten mehrheitsfähig. Dazu gehören das Rentenalter 65 für Frauen, die flexible Pensionierung zwischen 62 und 70 Jahren, die Senkung des Umwandlungssatzes auf 6 Prozent und eine Zusatzfinanzierung für die AHV. Bei dieser ist jedoch die Höhe umstritten. Die Varianten reichen von 0,6 (Kommission Nationalrat) über 1 (Ständerat) bis maximal 1,5 Prozentpunkte (Bundesrat).

Vehement bekämpft von Mitte-Links wird der von der Kommission vorgeschlagene Interventionsmechanismus, der als Ultima Ratio Rentenalter 67 vorsieht. Lorenz Hess (bdp., Bern) sprach von einem «Killerfaktor» für das ganze Paket. Die Notwendigkeit einer Rentenaltererhöhung bestritt Hess aber nicht. Am Tag 1 nach Inkrafttreten der aktuellen Reform gehöre diese Frage auf den Tisch.

Die CVP hat es in der Hand

Zu einem kniffligen Punkt sind Umfang und Modalitäten der Kompensation des tieferen Umwandlungssatzes in der zweiten Säule geworden. Der Ständerat sieht dafür unter anderem eine monatliche Rentenerhöhung von 70 Franken in der AHV vor. Sie stösst im Nationalrat auf massive Kritik. Bertschy spricht von Rentengeschenken an Reiche. Die Übergangsgeneration, die von einer Besitzstandswahrung profitiert, wird damit überkompensiert. Für Ruth Humbel (cvp., Aargau) ist es hingegen das effizienteste und günstigste Instrument.

Das Modell der Nationalratskommission weist indes Lücken bei der Kompensation auf, die aufgrund von wechselnden Mehrheiten entstanden. FDP und GLP haben gleichlautende Anträge eingereicht, die einen praktisch lückenlosen Ausgleich innerhalb der zweiten Säule vorsehen. Berset zeigte sich offen, den Vorschlag zu prüfen. Die CVP hat es in der Hand, dieser Lösung zum Durchbruch zu verhelfen. – Der Nationalrat debattiert am Mittwoch weiter.

Quelle: NZZ
26.09.2016

Merken

Merken