Systemrisiko Lebensversicherer?

Gewerkschaften warnen vor einem Kollaps der Lebensversicherer im Geschäft mit der 2. Säule. Wegen der tiefen Zinsen nehmen Versicherer zu wenig ein, um die künftigen Rentenansprüche garantieren zu können.

Die fundamentalen Fakten im Geschäft mit der zweiten Säule entwickeln sich seit längerem unerfreulich. Bereits vor drei Jahren hatte der frühere Finma-Chef Patrick Raaflaub öffentlich darauf hingewiesen. Und gestern taten es die Gewerkschaften in voller Lautstärke: «Die Leistungsgarantie der Verträge in der Beruflichen Vorsorge (BVG) durch die Lebensversicherer ist ein Systemrisiko für die Schweiz», sagte Aldo Ferrari, Unia-Kader an einer Pressekonferenz des Gewerkschaftsbundes. Was ist der Zusammenhang?

1,7 Millionen Angestellte, das sind 44 Prozent aller 2.-Säule-Versicherten, zahlen Ihre monatlichen Lohnabzüge an einen der sieben Lebensversicherer Swiss Life, Axa Winterthur, Basler, Helvetia, Allianz Suisse, Pax und Generali. Sie verwalten ein Kapital 172 Milliarden Franken und garantieren damit die Altersrenten sowie Renten bei Invalidität und Tod für Witwen und Waisen. Die meisten dieser Versicherten sind Angestellte von Klein- und Mittelbetrieben (KMU). Deren Patrons haben einen sogenannten Vollversicherungsvertrag abgeschlossen. Dieser sieht eine Leistungsgarantie vor. Ein Defizit, eine sogenannte Unterdeckung wie bei Pensionskassen, ist nicht erlaubt.

Dieser Zwang zur absoluten Garantie hat einen paradoxen Effekt: Die Lebensversicherer setzen fast nur auf risikoarme Anlagen. 82 Prozent sind festverzinsliche Werte, darunter ein hoher Anteil Anleihen. Diese Anleihen performen schlecht. Dies zeigt der langfristige Durchschnitt der siebenjährigen Bun­des­obligationen (s. Grafik). Die Zinserträge liegen jährlich bei 1,3 Prozent. Die Versicherer müssen den Angestellten die Altersguthaben aber zu mindestens 1,75 Prozent verzinsen. Sie machen ergo ein Verlustgeschäft. Für die Ansprüche der künftigen Renten (Umwandlungssatz) ist diese Differenz noch höher.

«Die anhaltende Tiefzinsphase führt dazu, dass die sieben Versicherer die Mindestversprechen der 2. Säule, je länger sie dauert, irgendwann einmal nicht mehr einhalten können, ohne sich selber zu gefährden», sagt Ferrari. Die Verletzlichkeit sei «strukturell, weil über 80 Prozent in festverzinsliche Anlagen investiert sind, das Gros in tief verzinste Staatsobligationen».

2013 war der Effekt enorm. Dies geht aus der Betriebsrechnung der Versicherer hervor, die die Finanzmarktaufsicht (Finma) vor vier Wochen publizierte. Die Bewertungsreserven gingen 2013 von 15 auf 10 Milliarden Franken zurück, die Performance der Kapitalanlagen war negativ. «Diese deutliche Schwankung zeigt, wie empfindlich die Vollversicherer den Kapitalmarktrisiken ausgesetzt sind», schrieb die Finma. Eine verblüffende Konzession gewährte die Behörde aber im Januar 2013: Statt hart zu bleiben, lockerte sie in einem Rundschreiben die Bestimmungen für den jährlichen Solvenztest (SST). Sie gewährt den Versicherern bis 2015 eine Ausnahme in der Bewertung von risikobehafteten Anleihen. Die Versicherer können so zum vorteilhafteren Wert buchen und damit den Solvenztest einfacher bestehen. Wie viel das buchalterische Make-Up in der 2. Säule ausmacht, ist nicht ausgewiesen. Der «Marktbericht» der Finma zeigt den Wert aber für das ganze Lebensgeschäft: Statt 36,4 Milliarden konnten sich die Versicherer 41,8 Milliarden Franken «risikotragendes Kapital» im Solvenztest ausweisen. «Dies führt zu einer Destabilisierung des gesamten Systems», kritisiert Ferrari.

Die Versicherer bestreiten dies. «Die Leistungsgarantien der Verträge in der 2. Säule sind kein Systemrisiko für die Schweiz», entgegnet der Versicherungsverband (SVV) auf Anfrage. Die Finma habe dies bestätigt. Die Nummer 1 der Branche nimmt wie folgt Stellung: «Swiss Life kann bei den geltenden ökonomischen und politischen Rahmen­bedingungen all ihre Garantien auf Jahrzehnte hinaus uneingeschränkt ein­halten». Sie verfüge über eine «sehr solide Bilanz und eine sehr komfortable Reservesituation». Auf die Frage, wie weit die Erleichterungen der Finma den Versicherer entlaste, heisst es: «Basierend auf dem internen Solvenztestmodell, das von der Finma teilweise genehmigt worden ist, befindet sich Swiss Life im grünen Bereich.»

Die Nummer 2, Axa Winterthur, schreibt, sie sei auf die von der Finma gewährte Bewertungserleichterung nicht angewiesen: «Wir erfüllen die Anforderungen des Solvenztests (SST) auch ohne Erleichterungen.» Axa habe eine langfristige Strategie. Sowohl das Solvenzkapital als auch die Reserven seien dem heutigen Zinsniveau

Quelle: Der Bund

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